Warum die Russen in Europa keine Lücke hinterlassen
- Redaktion soaktuell.ch
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Die Drohung war klar: Ohne russische Energie würde Europa frieren und in eine tiefe Rezession stürzen. Eine Fehleinschätzung - wie so vieles in Moskau. Mehr als zwei Jahre nach dem umfassenden Krieg in der Ukraine und den darauf folgenden Sanktionen zeigt sich ein überraschend robustes Bild. Europa kommt ohne Russland ganz gut über die Runden. Entgegen allen Kassandra-Rufen sind die russischen Exporte und Importe in Europa weitgehend entbehrlich geworden. Kurz: Russland ist für Europa völlig bedeutungslos geworden.

Die Antwort auf dieses Phänomen liegt in der schieren Größe und Diversität der europäischen Wirtschaft und der relativen Kleinheit der russischen Ökonomie im globalen Maßstab.
Ein Zwerg im globalen Handel
Um die Abhängigkeit richtig einzuordnen, muss man die Wirtschaftsgrößen vergleichen. Die Europäische Union (EU) ist mit einem BIP von über 19 Billionen US-Dollar (2024) eine der größten Volkswirtschaften der Welt. Russland hingegen, dessen Wirtschaft sich auf circa 2,1 Billionen US-Dollar beläuft, ist ein vergleichsweise kleines Land im globalen Handel.
Geringer Handelsanteil
Schon vor den Sanktionen machte Russland nur einen geringen Anteil am gesamten EU-Handel aus. Im Jahr 2021 stammten nur etwa 5,8 % der gesamten EU-Importe aus Russland und nur 1,6 % der EU-Exporte gingen dorthin. Diese Zahlen sind seitdem drastisch eingebrochen.
Keine Spitzentechnologie
Die russischen Exportgüter bestehen fast ausschließlich aus Rohstoffen (Öl, Gas, Kohle, Metalle). Hochwertige Konsumgüter, Maschinen oder digitale Dienstleistungen – die treibenden Kräfte der modernen Wirtschaft – hat Russland kaum im Angebot, auch heute nicht. Man kann sagen: Die russischen Produkte vermisst in Europa niemand, weil es sie hier gar nie gab.
Die erfolgreiche Energiewende
Die größte Herausforderung war die Energieabhängigkeit, insbesondere von russischem Erdgas, das vor dem Krieg in manchen Ländern einen signifikanten Anteil ausmachte. Europa reagierte mit beeindruckender Geschwindigkeit:
Diversifizierung der Lieferanten: Europa schloss neue Verträge ab, allen voran mit den USA (LNG), Norwegen und Katar. Diese verdienen sich seither eine goldene Nase.
Infrastruktur-Ausbau: Neue LNG-Terminals wurden in Deutschland und anderen Ländern in Rekordzeit gebaut, um verflüssigtes Erdgas importieren zu können.
Sparmaßnahmen: Industrie und Haushalte reduzierten ihren Gasverbrauch deutlich, unterstützt durch milde Winter und staatliche Sparappelle sowie viele Alternativen wie Wärmepumpen, Wärme-Verbundnetze, Heizöl und Strom aus Photovoltaik, Wasserkraft, Windkraft und Kernenergie.
Diese längst überfällige "Ent-Russifizierung" der Energieversorgung, das REPowerEU-Programm, war schmerzhaft und führte zu hoher Inflation, aber sie hat funktioniert. Europa hat seine Abhängigkeit von russischer Energie in zwei Jahren nahezu aufgelöst. Und die Inflation ist wieder rückläufig.
Die Stärke des Binnenmarkts
Die Fähigkeit Europas, Rückschläge wegzustecken, beruht auf zwei fundamentalen Stärken:
Der Binnenmarkt: Der Handel zwischen den EU-Mitgliedstaaten, der Schweiz und Grossbritannien, ist um ein Vielfaches größer als der gesamte Handel mit Russland. Die internen Lieferketten und die gemeinsame Wirtschaftsstruktur fangen Schocks ab.
Globale Vernetzung: Die EU ist tief in globale Lieferketten eingebettet und handelt intensiv mit Asien, Indien, Südamerika und Nordamerika. Die Verlagerung von Handel und Investitionen in diese Regionen macht den Verlust Russlands verkraftbar.
Die Sanktionen treffen Russland weitaus härter, da der Wegfall der technologisch überlegenen westlichen Güter und Dienstleistungen die Modernisierung der russischen Wirtschaft massiv behindert.
Platz der fehlenden Russen-Touristen sofort wieder aufgefüllt
Im Tourismus haben die Russen in Westeuropa nie eine bedeutende Rolle gespielt. In einigen Badeorten und in Luxus-Destinationen, sind im ersten Moment zwar gewisse Lücken entstanden, doch diese wurden überall extrem rasch wieder ausgefüllt. Vermisst werden die verschwenderischen Russen mit schlechten Tischmanieren schlicht nicht. Sie wurden von Touristen aus der EU, den USA, Grossbritannien, China und Indien mehr als ersetzt. Im Gegenteil: Viele Tourismus Hotspots wie Venedig, Rom, Barcelona, Mallorca, Ibiza, Teneriffa usw. beklagen Over-Tourism - also zu viele Touristen. Nur in der Türkei, wo nach wie vor viele Russen ihre Ferien am Meer verbringen und sogar ganze Hotelketten gekauft haben, herrscht eine regelrechte Krise. Tausende Hotels mussten jüngst schliessen, weil die Touristen aus Westeuropa trotz Billigpreisen weggeblieben sind.
Fazit: Der anfängliche Schock über den Verlust des russischen Handelspartners ist überwunden. Europa, darunter auch die Schweiz, hat gezeigt, dass sie die nötige wirtschaftliche Größe und politische Entschlossenheit besitzt, um strategische Abhängigkeiten sofort zu beenden und flexibel auf neue Gegebenheiten zu reagieren. Der Glaube, dass Europa ohne Russland nicht überleben könne, hat sich als Mythos erwiesen.
Im Gegenteil: Russland hat, zusammen mit der Zollpolitik von US-Präsident Trump, die europäischen Länder zusammengeschweisst, wie lange nicht mehr. Abhängigkeiten von Russland gibt es keine mehr und die Abhängigkeit von den USA wird derzeit überall langsam aber sicher herunter gefahren - auch wenn gewisse Zoll-Deals vordergründig anders aussehen. Entstanden ist ein starkes Europa und unter den Ländern wirtschaftlich die Haltung "Europe first". Die Russen braucht es auch in Zukunft nicht mehr.
