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Fast ein Drittel weniger Auto-Neuzulassungen in nur 10 Jahren

  • Autorenbild: Redaktion soaktuell.ch
    Redaktion soaktuell.ch
  • vor 17 Stunden
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 8 Stunden

2015 wurden in der Schweiz 323'783 Autos neu zugelassen. Bis Ende 2025 dürften es 100'000 weniger sein. Für die Branche und die Zulieferer ist das verheerend. Diese Zahlen sind umso dramatischer, als doch die Einwohnerzahl der Schweiz - also die potenzielle Kundschaft - im selben Zeitraum um 1 Mio. Menschen zugenommen hat. Der Widerspruch zwischen Bevölkerungswachstum und sinkenden Neuzulassungen in der Schweiz ist ein Fakt, lässt sich aber nicht mit einer einzelnen Ursache erklären. Wir versuchen es trotzdem.


Symbolbild von Walti Göhner / pixabay.com
Symbolbild von Walti Göhner / pixabay.com

Die Gründe dafür sind ein Mix aus Ökonomie, Demografie und städtischer Entwicklung – quasi die typische schweizerische Komplexität. Hier die vier Hauptgründe, warum die Schweiz zwar mehr Menschen zählt, die aber auffällig weniger Autos kaufen.


  1. Urbanisierung und ÖV-Dominanz

    Das Bevölkerungswachstum findet primär in den städtischen Ballungszentren und Agglomerationen statt. Diese Gebiete sind aber am besten durch den öffentlichen Verkehr (ÖV) erschlossen. Höchste Dichte, tiefste Motorisierung: Kantone und Städte mit dem grössten Wachstum (wie Zürich, Basel, Genf, Waadt) haben gleichzeitig den tiefsten Motorisierungsgrad (Anzahl Autos pro 1000 Einwohner). In diesen Zonen wird der Neuankömmling statistisch kein Auto kaufen, weil er es nicht braucht oder ihn die hohen Kosten abschrecken.

    Lebensstil: Junge Zuzüger oder die Generation Z in urbanen Gebieten sehen das Auto seltener als Notwendigkeit oder Statussymbol, sondern setzen auf ÖV, Sharing-Angebote oder Velo/E-Bike/E-Trottinett. Immer weniger 18-24 Jährige haben überhaupt einen Führerschein. Während es vor 10 Jahren noch 86'436 Neulenker gab, sind es 10 Jahre später nur noch 62'622. Wer keinen Führerschein hat, kauft mit Sicherheit nie ein Auto.

  2. Wirtschaftliche Unsicherheit und Kostenexplosion

    Die aktuelle Wirtschaftslage und die Kostenentwicklung bremsen die Kauflust direkt aus. Nicht nur Autos, sondern auch das Leasing, die Versicherungen, Parkplätze, Reparaturen und die Services sind in den letzten 10 Jahren massiv teurer geworden. Das Auto ist vom Allgemeingut zum Luxusgut geworden. Preisanstieg bei Neuwagen: Autos, insbesondere neue E-Autos, sind viel zu teuer. Viele Schweizer halten ihr altes Fahrzeug länger, anstatt teure Neuanschaffungen zu tätigen. Dies führt zu einem steigenden Durchschnittsalter der Schweizer Fahrzeugflotte.

    Fehlende Kaufanreize: Im Gegensatz zu einigen EU-Ländern hat der Bund 2024 sogar eine 4-prozentige Automobilsteuer auf E-Fahrzeuge eingeführt. Subventionen für den Kauf von Autos will der Bund bisher grundsätzlich nicht gewähren. Dies bremst den Kauf neuer (und umweltfreundlicherer) Autos aus. Denn sie müssen sich selber, wie alle anderen Autos auch, am Markt bewähren. Und das dauert. Damit hat die Autobranche Mühe.

  3. Unsicherheit bei der Antriebswahl

    Der Wandel zur Elektromobilität ist in der Schweiz zwar unaufhaltsam, aber er verlangsamt kurzfristig die Entscheidungsfreudigkeit vieler Käufer. E-Auto-Stagnation: Obwohl alternative Antriebe insgesamt zunehmen, sind die Neuzulassungen reiner E-Autos 2024 sogar zurückgegangen (im Gegensatz zu früheren Boomjahren). Und dies, obwohl es noch nie so viele verschiedene E-Autos auf dem Markt gab, wie heute. Gefragt sind in der Schweiz hingegen Hybride, die mehr Reichweite bei weniger Benzinverbrauch schaffen. Angst vor dem Ungewissen: Unsicherheiten bezüglich Ladeinfrastruktur (insbesondere für Mieter), Reichweite und die unklare politische Förderung führen dazu, dass viele Konsumenten den Kauf noch hinauszögern ("Mal schauen, was in zwei Jahren der Standard ist.").

  4. Die Verkäufer-Lüge mit dem Strom für E-Autos: Die Aufladung von E-Autos zuhause geht immer schneller, saugt aber extrem viel Strom ab. Wo keine Photovoltaik-Anlage vorhanden ist, läuft das voll über den Zähler und kann teuer werden - gerade in Gemeinden mit extrem hohen Strompreisen, wie etwa den beiden teuersten Gemeinden im Kanton Solothurn (Kestenholz und Fulenbach). Ein Mittelklasse E-Auto kann den Stromverbrauch zuhause rasch um einen Drittel und mehr erhöhen. Autokäufer wissen ganz genau, dass man beim Verbrauch nicht nur den Strompreis pro Kilowattstunde rechnen darf (wie das die Autoverkäufer gerne tun), sondern mit jeder Kilowattstunde verbrauchtem Strom kommen noch allerlei Netznutzungsgebühren dazu, was den Preis der Kilowattstunde beinahe verdoppeln (beachten Sie Ihre Stromrechnung). Und mit einer vollen Batterie macht das E-Auto etwas über 500 Kilometer. Der Benzinpreis liegt in der Region Aargau-Solothurn zwar bei CHF 1.58 pro Liter, aber mit vollem Tank macht ein Benziner Mittelklassewagen locker 800 Kilometer. Rechnet man richtig, ist das E-Auto im Verbrauch nur ganz wenig günstiger, als ein Benziner und etwa gleich teuer, wie ein Vollhybrid, weil dieser mit einer Tankfüllung noch viel mehr Reichweite schafft. Käuferinnen und Käufer wissen das, weshalb die Hybride boomen.


Zusammenfassend:

Autos sind kein Statussymbol mehr. Das Bevölkerungswachstum findet vor allem bei Menschen statt, die tendenziell weniger motorisiert sind, respektive ein anderes Mobilitätsverständnis haben. Gleichzeitig macht die Kombination aus hohen Preisen und politisch-technischer Unsicherheit den Kauf eines Neuwagens für viele Haushalte unattraktiver. Es geht dabei gar nicht um die Antriebsart, sondern vor allem um die hohen Gesamtkosten.


Wo sind in den letzten 10 Jahren die Kosten rund ums Auto am meisten gestiegen?


  • Der grösste Treiber sind die Reparatur- und Servicekosten der Garagisten. Moderne Autos sind fahrende Computer. Sensoren, Kameras, Assistenzsysteme und komplexe Elektronik sind direkt in Karosserieteile wie Stossstangen und Scheinwerfer integriert. Schon ein leichter Unfall oder ein Steinschlag erfordert oft den kompletten Austausch teurer Hightech-Bauteile statt einfacher Reparatur. Eine Studie zeigte, dass vier häufige Reparaturen bei einem einjährigen BMW 3er-Modell über 10'000 Franken mehr kosteten als beim zehn Jahre alten Vorgänger. Doch auch die Services kosten viel mehr als vor 10 Jahren. Während man vor 10 Jahren noch locker einen Service für unter 1'000 Franken machen konnte, kommen Sie mit einem Mittelklassewagen heute praktisch nie mehr unter 1'000 Franken raus. Da schneiden sich die Garagisten ins eigene Fleisch. Hinzu kommt: E-Autos haben deutlich tiefere Wartungskosten und benötigen weniger Service (kein Ölwechsel, Bremsen werden weniger beansprucht). Dies reduziert die Einnahmen der Werkstätten. Nur bei Reparaturen, da werden E-Autos teuer.

  • Die Preise für Auto-Ersatzteile sind gemäss dem Landesindex der Konsumentenpreise seit 2020 stark gestiegen (zum Teil um über 16%). Die Inflation hat auch den Stundenlohn in den Garagen weiter erhöht.

  • Ja, Elektroautos brauchen weniger Wartung, aber Reparaturen können wegen des komplexen Batteriepakets und der speziellen Hochvolt-Technologie oft höher ausfallen als bei Verbrennern.

  • Parkgebühren: In vielen Schweizer Städten werden die Gebühren für Anwohnerparkkarten und Dauerparkplätze im öffentlichen Raum stetig erhöht. Dies ist eine Massnahme der Städte, um den motorisierten Individualverkehr zu lenken und die Einnahmen zu erhöhen. Doch auch Plätze in privaten Einstellhallen sind richtig teuer geworden. Nach einem Tag Parkieren in einem Bahnhofsparking fragt man sich, ob man die Parkgebühr bezahlen oder nicht lieber gleich ein neues Auto kaufen soll? Spass beiseite.


Kurz gesagt: Obwohl die Schweiz die Inflation insgesamt im Griff hat, steigen die Kosten für alles, was mit einem Auto, dessen Reparatur und seinem Parkplatz zu tun hat, rasant an – was wiederum das Argument verstärkt, kein neues Auto zu kaufen.


Politik von Gemeinden und Städten schreckt vom Autokauf ab.

Die Strategie der Schweizer Städte ist ganz klar: Fläche zurückerobern und dem Auto wegnehmen. Es geht nicht mehr nur darum, den Autoverkehr zu bestrafen, sondern primär darum, ihn in eine nachrangige Rolle (subsidiär) zu drängen, um aus Sicht vieler Gemeinden Platz für effizientere und lebenswertere Mobilitätsformen (Velo, Fussgänger, ÖV) zu schaffen. Hier die wichtigsten "Push"-Massnahmen, die der motorisierte Individualverkehr MIV in Schweizer Städten spürt:


  1. Systematische Verkehrslenkung und Dosierung

    Städte wie Zürich, Basel und Bern nutzen aktive Verkehrslenkung, um den MIV auf Hauptachsen zu halten und Quartiere zu entlasten:

    "Dosieranlagen": An wichtigen Zufahrten oder Kreuzungen werden Ampeln so geschaltet, dass der Autoverkehr zurückgehalten wird, damit der Öffentliche Verkehr (Bus/Tram) fliessen kann und sich Quartiere nicht mit Schleichverkehr füllen.

    Quartierschutz: Durch gezielte Abbiegeverbote, Einbahnstrassen oder physische Barrieren (Poller) sowie Reduktion der Geschwindigkeit wird der Durchgangsverkehr in Wohngebieten systematisch unterbunden oder auf das übergeordnete Strassennetz umgeleitet.

  2. Parkplatz-Abbau und Kostensteigerung

    Dies ist der wahrscheinlich wirksamste Hebel, da er direkt die Attraktivität des Autofahrens senkt:

    Reduktion von Parkplätzen: Parkplätze im öffentlichen Raum (besonders in den Blauen Zonen) werden abgebaut und in Velo-Abstellplätze, breitere Trottoirs oder Grünflächen umgewandelt.

    Erhöhung der Parkgebühren: Wie schon erwähnt, steigen die Kosten für Anwohnerparkkarten stark an, um die Lagerung eines Autos im öffentlichen Raum teurer zu machen.

  3. Tempo-30- und Begegnungszonen

    Die flächendeckende Einführung von Tempo 30 ist die Standardmassnahme, um Strassen sicherer und leiser zu machen: Viele Städte setzen sich für Tempo 30 auch auf Hauptverkehrsachsen ein, wo es die Verkehrssicherheit und Lärmbelastung reduziert. Dies bremst den Verkehr effektiv und senkt die Attraktivität für Pendler, die schnelle Durchquerungen suchen.

    Begegnungszonen (20 km/h): Hier haben Fussgänger Vortritt und Autos dürfen nur im Schritttempo fahren – eine maximale Aufwertung des öffentlichen Raums für Menschen zulasten des Autos.

  4. Umverteilung des Strassenraums

    Straßen, die dem MIV gewidmet waren, werden nun konsequent umgewidmet:


    Mehr Velo- und Busspuren: Fahrspuren für Autos werden reduziert oder ganz aufgehoben, um Platz für Velowege und Busspuren zu schaffen. Dies beschleunigt den ÖV und Velo-/Fussverkehr zu Lasten des MIV. Die Staus werden länger.

    Umwandlung in Lebensräume: Strassen werden von reinen "Verkehrswegen" zu "Strassen" (im Sinne von streets), die Bäume, Grünflächen und Platz zum Verweilen bieten, um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen.

    Die klare politische Stoßrichtung in den Schweizer Städten zielt darauf ab, den Flächenverbrauch und die negativen Auswirkungen des Autos im urbanen Raum zu minimieren, was zwar langfristig die Lebensqualität für die Bewohner verbessert - für Läden und Geschäfte aber tödlich sein kann.


Dass in einem solchen Gesamtumfeld kein Platz mehr für einen florierenden Automarkt ist, versteht sich von selbst. Und das Problem kann so schnell nicht gelöst werden, denn wie gesagt, unten kommt eine Generation die immer weniger Führerscheine besitzt. Damit ist der Rückgang der Neuzulassungen praktisch für immer in Stein gemeisselt.

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