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Zickzack-Kurs: Wenn die Politik an der Realität zerschellt

  • Autorenbild: Redaktion soaktuell.ch
    Redaktion soaktuell.ch
  • vor 3 Stunden
  • 5 Min. Lesezeit

UKW-Stopp abgesagt, Verbrenner-Aus auf der Kippe, Atomausstieg rückgängig gemacht: In der Politik mehren sich die Kehrtwenden. Was als grosse Strategie beginnt, endet oft im teuren Chaos. Das Problem? Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, aber auch viele Beamtinnen und Beamte in Bundesbern, sind immer besser ausgebildet - aber immer weiter vom Volk entfernt. Viele Entscheidungen werden am Volk vorbei geplant, weil jene, die sich die Dinge ausdenken, gar nicht davon betroffen sind. Oder weil die Neuerungen mehr Geld kosten, als Vorteile bringen. Ein Beispiel dafür ist die Senkung der Wertfreigrenze für Einkaufstouristen. Diese wurde pro Kopf von 300 Franken auf 150 Franken gesenkt. Ergebnis: Der Einkaufstourismus ist 2025 explodiert anstatt gesunken. Eine Milliarde Franken flossen mehr ins Ausland als vorher. Dies, weil Bundesbern die Realität völlig falsch einschätzte.


Symbolbild von deraugenzeuge / pixelio.de
Symbolbild von deraugenzeuge / pixelio.de

Es herrscht zunehmend Verunsicherung im Land. Wir haben ein Führungsproblem. Wer in den letzten Jahren darauf vertraut hat, dass politische Weichenstellungen Bestand haben, wird aktuell eines Besseren belehrt. Das prominenteste Beispiel der letzten Wochen: Der Ausstieg vom Ausstieg beim UKW-Radio. Eigentlich hätten die analogen Radiosender verstummen sollen, um Platz für das digitale DAB+ zu machen. Doch das Parlament vollzog die Kehrtwende – UKW darf weiterlaufen. Der Grund: Jene, die den Umstieg auf DAB festgelegt haben, haben die Rechnung ohne die Schweizer Bevölkerung gemacht. Jahrzehntelange Gewohnheiten beim Radiohören und funktionierende UKW-Empfänger in Haushalten, Weckern, Autos, Lastwagen und Traktoren, in Büros, Werkstätten und Ställen, werden nicht so schnell weggeworfen, wie die Verantwortlichen meinten. Ein Sieg für die Konsumenten, aber ein Debakel für die Planbarkeit und die SRG, die UKW-Sender schon abgeschaltet hat.


Teure Symbole statt pragmatischer Lösungen


Europaweit wackelt das Verbot von Neuwagen mit Verbrennermotoren ab 2035. Was als ökologischer Meilenstein gefeiert wurde, erweist sich als industriepolitischer Hochseilakt, der die Sorgen der Bevölkerung und die Realität der Infrastruktur unterschätzt hat. Die Menschen sind schlicht nicht bereit, auf E-Autos umzusteigen. E-Autos bieten zu wenige Vorteile für ihren hohen Preis. Das Ergebnis: Sie wollen nicht auf E-Autos umsteigen, finden aber auch keine passenden Verbrenner mehr. Der Neuwagenverkauf als ganzes bricht ein. Auch hier geht die Umstellung auf eine neue Technik viel länger, als von den Verantwortlichen angenommen. Auch in der Schweiz hinkt die Zahl der E-Autos den Zielen hinterher. Ob DAB oder E-Autos, die Einführung neuer Systeme braucht viel mehr Zeit, als die Politik denkt. Man spricht dann davon, die Ziele seien "ambitioniert" gewesen. In Wahrheit waren die Ziele schlicht und einfach voll daneben und am Volk vorbei festgesetzt worden.


Beispiele für „Politik mit Verfallsdatum“


Die E-ID: Jahrelang wurde an einer privaten Lösung für die digitale Identität gearbeitet. Das Volk schickte das Vorhaben 2021 bachab – nicht, weil es gegen die Digitalisierung war, sondern weil das Vertrauen in die privaten Akteure fehlte und es viel zu schnell vorwärts ging. Millionen an Steuergeldern und Jahren an Entwicklungszeit waren verloren, bevor der Staat das Projekt selbst in die Hand nahm.


Das CO2-Gesetz: 2021 lehnte die Schweizer Stimmbevölkerung ein Gesetz ab, das von fast allen Parteien und Verbänden unterstützt wurde. Die Politik hatte die Rechnung ohne die ländliche Bevölkerung gemacht, für die Mobilität kein Luxus, sondern Notwendigkeit ist. Die Folge? Ein jahrelanger Stillstand in der Klimapolitik und eine hektische Suche nach einem mehrheitsfähigen Kompromiss. Heute wird bei vielen Errungenschaften der Klimapolitik Schritt für Schritt zurückgekrebst, nicht nur in der Schweiz, in ganz Europa. Es ging zu schnell vorwärts. Man hat die Rechnung ohne die Leute gemacht.


Atomkraftwerke: Nach der Katastrophe von Fukushima 2011 beschloss die Schweiz den schrittweisen Atomausstieg (Energiestrategie 2050, vom Volk 2017 angenommen). Doch nun wendet sich das Blatt: Bundesrat Albert Rösti hat im August 2024 angekündigt, das Verbot neuer Atomkraftwerke kippen zu wollen. Ein entsprechender Gegenvorschlag zur „Blackout-Initiative“ war bis April 2025 in der Vernehmlassung. Das Ziel: Die Option Kernkraft für die langfristige Stromsicherheit offenzuhalten. Während man früher von 40 oder 50 Jahren Betriebsdauer ausging, bereiten sich die Betreiber (z.B. Axpo für Beznau) nun darauf vor, die Werke so lange wie möglich am Netz zu lassen – sofern sie sicher sind.


Präsident Macron hat in Frankreich eine „Renaissance der Atomkraft“ ausgerufen. Sechs neue Reaktoren (EPR2) sind fest geplant, acht weitere werden geprüft. Polen baut zum ersten Mal in seiner Geschichte eigene Kernkraftwerke (mit US-Technologie), um von der Kohle wegzukommen. Die neue Regierung in Schweden hat den Atomausstieg komplett gestrichen und plant nun den Bau mehrerer neuer Reaktoren. Nur Deutschland hat als einziges Industrieland den Ausstieg aus der Kernenergie 2023 vollendet. Dies sorgt innerhalb Europas für Spannungen, da Deutschland nun oft Strom aus Ländern importiert (wie Frankreich oder Tschechien), die diesen mit Atomkraft produzieren. Völlig gaga...


Die Solar-Revolution?

Besonders stossend zeigt sich die Planungsunsicherheit bei der Energiewende. Hauseigentümer wurden mit Subventionen zum Bau von Solaranlagen und guten Einspeisevergütungen zur Amortisation der Investitionen geködert, nur um dann festzustellen, dass die Rückspeisevergütungen willkürlich sinken oder bürokratische Hürden den Eigenverbrauch erschweren. Es gibt sogar lokale Energieversorger, die der Bundespolitik diametral im Wege stehen, weil sie wegen den vielen privaten PV-Anlagen jedes Jahr weniger Strom verkaufen. Sie unternehmen alles, damit es keine neuen Photovoltaikanlagen mehr gibt. Sie reden sogar offen davon, der "Grundbedarf an PV-Anlagen in ihrer Gemeinde sei gedeckt". Bis heute konnte der Redaktion von soaktuell.ch niemand sagen, wo der Grundbedarf an Photovoltaik pro Gemeinde festgelegt ist. Möglichst viele erneuerbare Energieanlagen ist es doch genau das Ziel der Energiewende, also den Strom auch mit privaten PV-Anlagen zu erzeugen, anstatt ihn mit Kernkraftwerken zu produzieren und teuer zu verkaufen.


Auch bei den grossen Projekten herrscht Chaos: Der vollmundig angekündigte ‚Solar-Express‘ in den Alpen ist vielerorts zum ‚Solar-Bummler‘ verkommen, ausgebremst durch ein Dickicht aus Einsprachen und widersprüchlichen Auflagen. Hier zeigt sich das Kernproblem: Die Politik beschliesst zwar hehre Ziele, vergisst dabei aber, die rechtliche und wirtschaftliche Planungssicherheit zu garantieren, die es für solche Investitionen braucht.


Einkaufstourismus gefördert, statt bekämpft


Und als ob die Unsicherheit bei der Energie und Mobilität nicht reichte, legte die Politik beim täglichen Einkauf nach. Die Halbierung der Wertfreigrenze von 300 auf 150 Franken ab Januar 2025 ist ein klassischer Schreibtisch-Entscheid. Die Politik liess sich von Lobbyisten des Gewerbeverbandes und des Detailhandels blenden. Man wollte den Detailhandel in der Schweiz vor dem Einkaufstourismus schützen, schuf aber vor allem ein Bürokratiemonster und erreichte das Gegenteil. 2025 schoss der Einkaufstourismus durch die Decke. Eine Milliarde Franken mehr floss ins Ausland. Denn die Schweizer gingen einfach häufiger ins Ausland einkaufen und nahmen gleich noch Kinder, Verwandte, Nachbarn oder Freunde mit - die natürlich auch alle kräftig einkauften. Auch hier zeigt sich: Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht. Die Leute in Bundesbern, die das entschieden haben, sind nicht dumm. Aber es sind eben nicht die Leute, die wegen knappem Budget oder um irgendwo noch sparen zu können ins grenznahe Ausland einkaufen gehen (müssen).


Die Quittung für die Ignoranz


Warum passiert das? Oft scheint es, als würden Entscheidungen in einer "Blase" getroffen. Experten, Beamte und Politiker entwerfen Konzepte, die theoretisch schlüssig klingen, aber die Lebensrealität der Menschen ignorieren. Wenn Investitionen getätigt werden – sei es in neue Empfangsgeräte, Heizsysteme oder Fahrzeugflotten – und die Politik kurz darauf die Richtung ändert, ist der Schaden immens - finanziell und politisch.


Diese Kehrtwenden sind mehr als nur kleine Korrekturen. Sie sind ein Zeichen dafür, dass die Politik zu oft versucht, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen. Sie sind auch ein Zeichen dafür, dass man die Sache nicht richtig durchgedacht hat. Wer die Rechnung ohne das Volk macht, erntet am Ende nicht nur ein „Nein“ an der Urne, sondern provoziert einen massiven Vertrauensverlust in den Rechtsstaat.


In einer direkten Demokratie wie der Schweiz ist Stabilität das höchste Gut. Es wird Zeit, dass man in Bern wieder lernt, zuzuhören, bevor man die Milliarden verteilt. Aber nicht den Lobbyisten und Medien sollte man zuhören, sondern den Menschen draussen im Volk. Technische Umstellungen brauchen Zeit, selbst von UKW auf DAB.


Denn am Ende ist es nicht das Geld der Politiker, das bei diesen Fehlplanungen verbrannt wird – es ist das Geld von uns allen.

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