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Kult: Die glorreichen Wanderdiscos der 80er

  • Autorenbild: Redaktion soaktuell.ch
    Redaktion soaktuell.ch
  • 31. Okt.
  • 3 Min. Lesezeit

In den 80er-Jahren war das Leben auf dem Land oft so aufregend wie ein Sonntagsspaziergang bei Regen. Wer in einem kleinen Dorf in den Kantonen Aargau, Solothurn oder Bern aufwuchs und tanzen wollte, musste sich auf eine Odyssee mit dem "Töffli" gefasst machen. Doch bevor Google Maps und Nachtzüge erfunden wurden, kam die Rettung in Form eines klapprigen Lieferwagens ins Dorf: die Wanderdisco!


Symbolbild von javier dumont / pixabay.com
Symbolbild von javier dumont / pixabay.com

Dieses Kult-Phänomen brachte das Nightlife direkt dorthin, wo es am dringendsten gebraucht wurde: in die kühle, nach Desinfektionsmittel riechende Turnhalle der örtlichen Schule. Viele aktive Jugendliche organisierten sich in Gruppen, mieteten Hallen, bauten Lichtanlagen und Boxentürme auf, hängten bunte Plakate auf, verteilten Flugblätter und brachten die Disco dorthin, wo es sonst keine Disco gab.


Zwischen Völkerball und Venus-Licht

Das Ambiente war... nun ja, funktional. Die Tanzfläche war kein glänzender Clubboden, sondern meist abgedeckte Turnhallenböden, auf denen Stunden zuvor noch Völkerball gespielt wurde. Die Deko bestand oft aus einem schief hängenden Netz, abgedunkelten Fenstern, einer Spiegelkugel in der Mitte und ein paar komisch blinkenden farbigen 1000 Watt Scheinwerfer. Was nicht fehlen durfte, war das ultraviolette Licht und die Nebelmaschine.


Doch sobald der DJ die ersten Takte von Depeche Mode, Modern Talking oder Queen in die schlechte Akustik der Halle feuerte, war es egal. Die Turnhalle wurde zum Epizentrum der Jugendkultur der Achtziger. Und plötzlich schien der Schweissgeruch des letzten Sporttages gar nicht mehr so schlimm. Die Eltern wussten, wo die Jungen waren - und das war gut so.


Der soziale Tsunami im Dorf – mit White Horse, Space, Calypso, Chic und Tiffany's

Die Wanderdisco war nicht nur eine Party, sie war ein soziales Erdbeben. Es war der einzige Ort weit und breit, wo man auf einen Schlag alle Gesichter aus der eigenen Gemeinde und den Nachbardörfern traf. Und dies ohne sich über Whats app zu verabreden.


Legendäre Namen wie "White Horse" aus Boswil (Aargau), "Space", "Calypso" und "Chic" aus der Region Zofingen, Barrakuda aus der Region Solothurn/Grenchen sowie "Tiffany's Pop-Show" aus Fulenbach zogen mit ihren mobilen Soundanlagen durch die Regionen Aargau, Solothurn und Bern, stets auf der Suche nach der nächsten leeren Turnhalle, die sie in einen Palast der Popmusik verwandeln konnten.


Wenn die Schwester, Cousine und der Nachbar zu Models werden

Einige gingen sogar noch weiter, und boten neben Discomusik auch Auftritte. Die "Tiffany's Pop-Show" aus Fulenbach war Vorreiterin. Sie bot zwischen der Discomusik auch Auftritte von internationalen Pop-Grössen aus den 80er-Jahren wie C.C. Catch in Fulenbach oder Radiorama in Wolfwil. Zu jeder "Tiffany's Pop-Show" gehörte auch eine Fashion-Show mit Models aus der Region. Hier wurden Schwestern, Cousinen oder Nachbarn kurzerhand zu Models umfunktioniert. Vorgezeigt wurden Kleider eines Sponsors. Die Disco "Chic" ihrerseits war eine klassische Wanderdisco. Doch legendär ist die Grossveranstaltung in der Tennishalle Dreilinden in Langenthal geworden, als das Team von "Chic" neben reiner Discomusik auch einen Auftritt des Kult-Duos Milli Vanilli ermöglichte.


Meistens alkoholfrei Ja, Wanderdiscos waren meistens alkoholfrei. Man drängelte sich um Biertische (an denen es kein Bier, nur alkoholfreie Getränke gab) und versuchte, lässig auszusehen. Meistens hatte man die Wahl zwischen Coca-Cola, Sinalco, Rivella und Elmer Citro.


"Kommst Du mit mir Tanzen?" "Nein, ich will nur Kommen."

In den Wanderdiscos fanden die ersten, tolpatschigen Annäherungen statt. Die Jungs, nervös in Karottenhosen und Lederjacke, viele mit Dauerwelle, warteten panisch auf den Slow-Dance-Hit, während die Mädchen, deren Haare dank Unmengen Haarspray wetterfest waren, auf der Tribüne ihre Lässigkeit trainierten. Eng umschlungen tanzten die Pärchen zu Forever Young von Alphaville im ultravioletten Licht. Die immer gleichen Mädchen blieben sitzen, weil sie niemand zum Tanzen fragte. Und die immer gleichen Jungs blieben sitzen, weil sie sich mal wieder nicht getrauten zu fragen. Heute sind viele von ihnen trotzdem zusammen und haben mittlerweile selber erwachsene Kinder.


Es war Freiheit

Jeder Song war eine Chance: ein unbeholfener Move bei Take on Me, ein vorsichtiger Blick beim Discofox zu It’s Raining Men. Und wenn der Bass mal wieder so laut aufdrehte, dass der Volleyballkorb im Takt mitschwang, wusste man: Das war Freiheit.


Wichtige Funktion

Die Wanderdiscos waren laut, sie waren stickig, sie rochen nach Cheap-Parfum, Chlor und Mut, aber sie waren im Gegensatz zu heutigen Locations günstig und hatten eine unglaublich wichtige Funktion. Die Disc Jockeys von damals waren Stars in ihrer Region. Sie schenkten einer ganzen Generation unvergessliche Samstagnächte und zwar an Orten, die mit dem "Töffli" erreichbar waren. Nicht nur die veranstaltenden Jugendlichen, sondern auch die Besucherinnen und Besucher, bekamen mit den Wanderdiscos eine Aufgabe, einen Treffpunkt, einen Rahmen und eine Struktur für Engagement, Ausgang und soziale Kontakte.

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