Einkaufstourismus im Hoch: Dank neuer Zollfreigrenze?
- Redaktion soaktuell.ch
- vor 10 Minuten
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Anfang Jahr hat der Bund die Zollfreigrenze von früher 300 auf neu 150 Franken pro Person gesenkt. Das Ziel: Einkaufstourismus sollte unattraktiver werden. Passiert ist genau das Gegenteil. Dank der tieferen Zollfreigrenze kommen mehr Schweizer nach Deutschland einkaufen - und sie kommen häufiger. Der Einkaufstourismus boomt, wie ein Augenschein am Samstag vor Pfingsten in Weil am Rhein zeigt.

Es war ein typischer Entscheid in Bundesbern, der von Leuten gefällt wurde, die sich nur auf das Lobbying und die Excel-Tabellen der Schweizer Discounter sowie irgendwelche Beamten von Bundesämtern oder Universitäten verliessen, selber von Einkaufstourismus aber keine Ahnung haben. Die Senkung der Zollfreigrenze auf 150 Franken pro Person ist in vielerlei Hinsicht ein Rohrkrepierer par excellence. Sie führte dazu, dass nicht mehr eine Person nach Deutschland einkaufen geht, sondern die über die Grenze fahrenden Autos sind augenfällig mit zwei, drei oder mehr Personen gefüllt. Und, einmal da, reizen sie die Zollfreigrenze von 150 Franken aus. Eine vierköpfige Familie kann so zollfrei für 600 Franken einkaufen - und tut das auch. Zudem fahren die Leute häufiger nach Deutschland, was aus ökologischer Sicht eine Katastrophe ist.
Am Samstag vor Pfingsten waren schon um 10 Uhr alle Parkplätze in Weil am Rhein belegt. Das grosse Parkhaus beim Rheincenter, direkt an der Landesgrenze, war rappelvoll. Drei von vier Autos haben Schweizer Kennzeichen, darunter viele BL, AG, SO, BE und LU, aber uns fallen sogar OW, JU, NE und FR auf. Mehr Kapazitäten hat das grosse Einkaufscenter am Rhein gar nicht.
Hinter den Kassen stehen permanent meterlange Schlangen. Die Leute schieben Einkaufswagen vor sich her, die nur ganz selten nicht überladen sind. Sämtliche Kassen sind selbstverständlich besetzt. Das Gepiepse der Kassen-Scanner nervt unaufhörlich. Vom Einkaufstotal kann noch die Mehrwertsteuer des letztmaligen Einkaufs abgezogen werden, wenn man die entsprechenden Belege dabei hat. So wird aus einem übervollen Einkaufswagen für 350 Euro nach Abzug der letztmaligen Mehrwertsteuer von 70 Euro nur noch 280 Euro. Und weil der Euro nur ca. 0.94 Rappen wert ist, kostet dieser Einkauf letztlich 262 Franken. Genial. Es ist ein Fakt: Die eingekauften Waren sind rund 40-50 Prozent günstiger als in der Schweiz.
Schnell, alles im Auto verstauen und raus aus dem Parkhaus, gratis natürlich. Parkieren kostet hier nichts. Rasch am Grenzübergang die Kassenzettel abstempeln lassen, damit man die Mehrwertsteuer beim nächstmaligen Einkauf wieder verrechnen lassen kann und dann ab über die Grenze, zurück in die Schweiz.
Zusammen mit zahlreichen Kosmetikprodukten, Nahrungsergänzung, Kleidern, Schuhen und Tierfutter, welche wir in anderen Läden noch gekauft haben, betragen unsere Ausgaben in Deutschland dieses mal ca. 580 Euro. Im Auto sind fünf Personen x 150 Franken Zollfreigrenze, ergibt 750 Franken, die wir zollfrei hätten importieren dürfen. Wir liegen also sogar noch drunter.
Der Grenzwächter schaut ins Auto, sieht dermassen viele Köpfe, dass er gleich Bescheid weiss und durchwinkt. Geschafft. Zeitaufwand: Vier Stunden mit der Hin- und Rückfahrt. Und das Beste: Die Frau, der Mann und die Kinder haben ein gutes Gefühl, weil alle mindestens ein oder mehrere Schnäppchen machen konnten und man die Gewissheit hat, soeben hunderte von Franken gespart zu haben, gegenüber dem selben Einkauf in der Schweiz. Man bekommt viel mehr fürs Geld.
Fazit: Die Senkung der Zollfreigrenze ist der grösste Schwachsinn, denn Bundesrätin Keller-Sutter bisher verbockt hat. Wahrscheinlich führt diese Massnahme sogar zu noch mehr Einkaufstourismus - denn all die mitgenommenen Leute kommen natürlich auch auf den Geschmack und gehen danach selber.
Den Einkaufstourismus kann die Schweizer Politik mit keiner Massnahme wirklich bekämpfen, solange die Produkte in Deutschland durchschnittlich 40 Prozent günstiger sind als in der Schweiz. Da lohnen sich Einkäufe ennet der Grenze immer - sogar bei einer Totalabschaffung der Zollfreigrenze. Kommt hinzu, dass das Produkteangebot massiv grösser ist, als in der Schweiz. Also profitiert man in vielerlei Hinsicht.
In Kommentaren werden Einkaufstouristen oftmals als "Landesverräter" betitelt. Selbst der Konsumentenschutz ist der Überzeugung, dass der Einkaufstourismus zu tieferen Preisen in der Schweiz führt. Gäbe es die Ausweichmöglichkeit über die Grenze nämlich nicht, könnten und würden die Händler, Discounter und Anbieter in der Schweiz die Preise ohne Skrupel hochschrauben und absahnen. Einkaufstourismus ist also nicht Landesverrat, sondern Selbstregulierung. Die Einkaufstouristen sorgen dafür, dass die breite Masse der Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz nicht mit noch viel höheren Preisen über den Tisch gezogen wird. Den Einkaufstouristen gebührt also Respekt. Das sollte auch die Politik endlich zur Kenntnis nehmen und den Kleinkrieg mit der 150-Franken-Zollfreigrenze rückgängig machen.