SVP "impft" an der Basis vorbei
Früher war die SVP eine Partei der Schulmedizin. Heute macht die grösste Partei der Schweiz Werbung für Naturheiler, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und Impfgegner. Nicht irgendwer, sondern der Chef der SVP-Bundeshausfraktion, Nationalrat Thomas Aeschi, postete am Donnerstag den Screenshot einer Publikation, die vor mRNA-Impfungen warnt.

Die SVP ist gut in die Pandemie gestartet, hat früh "Maske" getragen (Nationalrätin Martullo) und den Bundesrat für die zu zögerlichen Öffnungsschritte kritisiert. Soweit sprach die Partei lange Zeit vielen Menschen über alle Parteigrenzen hinweg aus dem Herzen. Doch dann begann die Impfkampagne und die grösste Partei der Schweiz manövrierte sich ins Offside.
Hier hätte die SVP als gewerbe- und wirtschaftsfreundliche Partei, die immer verlässlich für die Schulmedizin eingestanden ist, auf eine möglichst rasche Durchimpfung der Bevölkerung setzen müssen. Doch sie tat das Gegenteil. Die Partei machte sich Schritt für Schritt zur Partei der Naturheiler, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Corona-Massnahmengegner und Impfverweigerer.
Wenn die offizielle Partei sagt, sie sei nicht gegen das Impfen, stimmt das nicht. Höhepunkt ist der Tweet von Fraktionschef Thomas Aeschi. Eine Peinlichkeit. Eine politische Partei, die Meinungen von Leuten teilt, die behaupten, dass Geimpfte Proteine absondern, diese auf andere Menschen «abwerfen» und somit unfruchtbar machen, hat wohl ein gröberes Problem. Auch der gängige Mythos der Verschwörungstheoritiker über Veränderungen des Erbguts nach einer Impfung mit mRNA-Impfstoffen entspricht nicht der Wahrheit. «Die mit der Impfung verabreichte mRNA kann nicht in den Zellkern gelangen und sich dort ins menschliche Erbgut (DNA/Gene) einbauen», erklärt das BAG zum x-ten mal. Das BAG publiziert zudem monatliche Statistiken über die tatsächlichen Nebenreaktionen der Impfungen in der Schweiz.
Wenn die Partei nun sagt, das sei eine persönliche Meinung eines Fraktionsmitglieds, liegt sie falsch. Denn wenn man die Aussagen des Fraktionschefs nicht mehr als Parteimeinung interpretieren darf, muss man ihn auch nicht mehr an Medienkonferenzen oder zu Interviews in anderer Sache schicken. Dann ist die Glaubwürdigkeit des Amts des Fraktionschefs und damit der ganzen Partei dahin.
Die Fehlleitung der SVP in der Impffrage lässt sich nur damit erklären, dass bei vielen Fraktionsmitgliedern eine natürliche Aversion gegen politische Eliten besteht. Und irgendwo spielt wohl auch der Neid mit, dass das BAG von SP-Bundesrat Berset mindestens bei der Beschaffung des Impfstoffes ein glückliches Händchen hatte. Man wird Bundesrat Berset für vieles kritisieren können, aber nicht für die Impfstoffe und die Impfkampagne.
Dass die SVP mit solchen Verschwörungstheorien neben ihrer eigenen Wählerschaft liegt, lassen auch die Zahlen vermuten. So hat die SVP beispielsweise im Kanton Aargau einen Wähleranteil von 30,3 Prozent (2020). Man darf davon ausgehen, dass der Wähleranteil der SVP bei den über 70 Jährigen im Aargau noch wesentlich höher liegt. Doch die SVP-Wählerschaft lässt sich von den Verschwörungstheorien ihrer Parteiexponenten nicht beirren. Bis am letzten Donnerstag wurden im Aargau schon 83 Prozent der 70-79 Jährigen und 81 Prozent der über 80 Jährigen geimpft. Und es kommen jeden Tag über 7'000 weitere Impfungen hinzu. Ja selbst bei den 50-59 Jährigen sind 42 Prozent schon geimpft und satte 25 Prozent noch auf der Warteliste. Die Zahlen sprechen also für sich. Da braucht es keine Volksabstimmung mehr. Für einmal vertritt die SVP mit Thomas Aeschis Haltung definitiv nicht das Volk und wahrscheinlich auch nicht die Mehrheit der tendenziell älteren Parteibasis.
Das Volk will Freiheit zurück. Es will sich wieder frei bewegen können. Es will arbeiten, reisen, in den Ausgang. Auch Beizer, Ladenbesitzer, Gewerbler und Unternehmer wollen Normalität. Dies alles ermöglichen nur Impfungen. Was sonst? Und die Schweiz hat die weltweit besten und wirkungsvollsten Impfstoffe gegen Corona im Einsatz.
Bundespräsident Guy Parmelin, auch ein SVP'ler, hätte der SVP den politisch richtigen Weg vorgezeigt. Aber es hat wohl niemand in der grössten Partei auf den Westschweizer gehört. Er sieht das Impfen, gemäss einem Artikel im Blick, quasi als Bürgerpflicht. Impfverweigerer müssten die Konsequenzen tragen – in Eigenverantwortung. Das ist SVP-Politik.