Der grosse Katzenjammer nach der Wahl
Tausende Schweizerinnen und Schweizer haben für einen Sitz im Nationalrat oder Ständerat kandidert. Am Sonntag hat das Volk entschieden. Neben den Gewählten bleiben die Abgewählten und die Nichtgewählten zurück. Bei Wahlen gibt es viel mehr Verliererinnen und Verlierer, als man denkt. Nicht selten hinterlässt eine Nichtwahl auch persönliche Spuren.
Kommentar von Martina Gloor
Eine Wahl in ein politisches Amt ist in der Schweiz ein grosser Vertrauensbeweis des Volkes. Wer nicht gewählt wird, dem traut das Volk das Amt also nicht zu. Mit solchen Gedanken dürften in diesen Tagen einige kämpfen, die sich für die Wahl in den Nationalrat oder Ständerat zur Verfügung gestellt, monatelang Wahlkampf betrieben und viel Geld investiert haben.
Natürlich sind sich alle, die zu einer Wahl antreten bewusst, dass die Chance nicht gewählt zu werden massiv grösser ist als umgekehrt. Werden sie dann nicht gewählt ist die Enttäuschung bei vielen davon ein paar Tage nach der Wahl besonders akut. Vor allem bei jenen Personen, die seit Jahren oder Jahrzehnten sehr aktiv in ihren Parteien Basisarbeit erledigen.
Unzählige Abende opfern sie für die Partei, hängen Plakate auf, sammeln Unterschriften, verteilen Flyer und treten nicht selten immer wieder bei Wahlen an, ernten oftmals noch Kritik von den eigenen Parteimitgliedern - und als Dank erhalten andere von der eigenen Partei mehr Stimmen, als man selber. Das kann - vor allem wenn es über Jahre immer wieder vorkommt - zermürbend sein und Spuren hinterlassen. Selbst wenn die Betroffenen die politische Arbeit lieben, irgendwann entsteht Leere, Frustration und wegen den Wahlkampfkosten oftmals noch ein Loch im Portemonnaie.
Natürlich geht es nicht um einen selber, sondern um das grosse Ganze. Es geht um die Schweiz. Die meisten engagieren sich für ihre Überzeugungen, Werte und ihre Parteien. Aber auch diese Phase im Leben hat ein Ablaufdatum. Irgendwann ist genug. Irgendwann ist jeder und jede Betroffene an einem Punkt, an dem man sich überlegt, wie lange man noch die Basisarbeit (die so genannte "politische Drecksarbeit") machen soll, nur um anderen die Stimmen zu verschaffen, die sie brauchen um gewählt zu werden. Irgendwann scheitern alle an dieser knallharten Realität und ziehen sich aus der Politik zurück. Die einen früher, die anderen später. Dann hat es eben nicht sein sollen. Niemand kandidiert immer wieder für Ämter aus lauter Spass, sondern um gewählt zu werden. Doch gewählt werden die wenigsten irgendwann mal.
Wenn sich in diesen Tagen viele Enttäuschte aus der Politik zurück ziehen, sind das keine schlechten Verlierer und Verliererinnen. Vor allem dann nicht, wenn sie zuvor jahrelang Basisarbeit geleistet und schon bei X-Wahlkämpfen mitgemacht haben. Ihnen gehört der grösste Dank der Partei und vor allem der Dank der Gewählten. Sie haben einfach verstanden, dass sie genug getan haben für ihre Partei. Sie haben ihren Dienst an der Allgemeinheit erfüllt.
Unser demokratisches System baut darauf auf, dass immer wieder Tausende neue und motivierte Leute Basisarbeit für Parteien leisten und sich selber in Wahlkämpfen zur Verfügung stellen. Die Spirale dreht sich weiter.